Hyperinflation, Gewalt, wirtschaftlicher Stillstand und bittere Armut: Die Ruhrbesetzung steht nicht nur für eine Ausnahmesituation, sondern ist ein zentrales Kapitel der Ruhrgebietsgeschichte.
Die Galerieausstellung des Ruhr Museums präsentierte anlässlich des 100. Jahrestags des Beginns der Ruhrbesetzung den Besatzungsalltag von 1923 bis 1925. Sie zeigte die Erfahrungen der Bevölkerung und der Besatzer sowie die Ereignisse dieser Krisenjahre in sechs Kapiteln. Dabei beleuchtete sie auch den Moment in der Geschichte, in dem das Ruhrgebiet als eine einheitliche Region entstand und wichtige Grundlagen für die Metropole Ruhr als Identifikationsraum gelegt wurden.
Neben seltenem Filmmaterial stellten rund 200 eindrucksvolle Exponate wie Fotografien, Postkarten, Flugblätter, Plakate, Ausweise und weitere Dokumente, aber auch Medaillen, Gedenktafeln, Waffen und Uniformen den Besatzungsalltag aus unterschiedlichen Perspektiven dar. Besonders beeindruckende Objekte kamen aus großen europäischen Museen, wie eine seltene Schießscheibe aus dem Deutschen Historischen Museum in Berlin, Uniformen und Ausrüstungsgegenstände von französischen und belgischen Besatzungssoldaten aus dem Musée de la Grande Guerre du Pays de Meaux in Frankreich sowie ein Original-Maschinengewehr aus dem Musée Royal de l'Armée et d'Histoire Militaire in Brüssel/Belgien.
Die Ausstellung spannte den Bogen vom Einmarsch der Truppen im Januar 1923 bis zu den Feierlichkeiten aus Anlass des Abzugs 1925. Mit zahllosen Verordnungen und Maßnahmen griffen die Besatzungsbehörden massiv in das Leben der Menschen ein. Zwischen dem besetzten und dem unbesetzten Gebiet wurden Grenzsperren errichtet, die den Alltag der Menschen erheblich erschwerten. Hinzu kamen willkürliche Ausgangssperren, Straßenkontrollen und Einquartierungen. Bei Unfällen und Übergriffen durch Besatzungssoldaten starben rund 130 Zivilisten.
Die Verweigerung der Kooperation stellte die Franzosen besonders auf dem Verkehrssektor vor erhebliche Herausforderungen. So mussten sie binnen kurzer Zeit eine Eisenbahn unter eigener Regie realisieren, was aufgrund der Komplexität des Gleissystems zu zahlreichen Unfällen und Störungen führte. Auch die französischen und belgischen Soldaten befanden sich in einer schwierigen Situation. Sie sahen sich einer überwiegend feindlich eingestellten Bevölkerung gegenüber und lebten in der Angst, Opfer von Attentaten zu werden. Versorgung und Unterkünfte waren oft unzureichend.
Der von der Ruhrindustrie und vom Reich finanzierte passive Widerstand ruinierte die deutsche Währung vollends. Die Hyperinflation führte zu einer völligen Verarmung weiter Teile der Bevölkerung, die Arbeitslosigkeit erreichte bislang unbekannte Ausmaße. Vielerorts kam es wegen der materiellen Not zu sozialen Unruhen, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedrohten.
Darüber hinaus zeigte die Ausstellung den Propagandakrieg um die öffentliche Meinung, der in massenhaft publizierten Flugblättern und in zum Teil rassistischen Plakaten dokumentiert ist.
Die Ausstellung schloss mit dem Abzug der Truppen und der Gedenkkultur, die die Ruhrbesetzung vor allem im Vorfeld der nationalsozialistischen Machtergreifung in Gang gesetzt hat.
Mit der Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrags am 28. Juni 1919 wurde der völkerrechtliche Schlusspunkt des „Großen Krieges“ (1914–1918) gesetzt. Deutschland hatte diesen Krieg verloren und wurde von den Alliierten zur Erbringung von Reparationen verpflichtet.
Weil die deutsche Seite mit der Leistung der Reparationen in Verzug geraten war, besetzten französische und belgische Truppen im Januar 1923 das Revier. Die deutsche Bevölkerung blickte gebannt auf diese wirtschaftlich und strategisch bedeutsame Region.
Die Ruhrbesetzung bildete den Auftakt eines Krisenjahres, das von Inflation, Umsturzversuchen, Gewalt, Armut und Arbeitslosigkeit geprägt war. Der Einmarsch ins Revier mitten im Frieden trug Züge einer Kriegsbesetzung: Rund 60.000 Franzosen und Belgier rückten mit Panzern, Infanterie, Kavallerie, Fahrrad- sowie Maschinengewehr-Einheiten in die Städte des Ruhrgebiets ein.
Der Einmarsch erfolgte in ein tief zerrissenes und gespaltenes Ruhrgebiet, das bereits seit fast einem Jahrzehnt von existenziellen Nöten und Gewalterfahrungen geprägt war. Die französisch-belgische Besetzung erfolgte somit in einer permanenten Ausnahmesituation und brachte die im 19. Jahrhundert so prosperierende Region an die Grenzen ihrer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Belastbarkeit.
Unmittelbar nach Beginn der Besetzung rief die deutsche Regierung den passiven Widerstand aus und stellte alle Reparationszahlungen ein. Jede Zusammenarbeit mit den Besatzern sollte unterbleiben. Die Gegenmaßnahmen der Besatzer, wie Ausgangssperren, Verhaftungen und Ausweisungen ins unbesetzte Gebiet, ließen nicht lange auf sich warten. Blutige Zusammenstöße zwischen Soldaten und der Bevölkerung waren an der Tagesordnung, eine Spirale der Gewalt kam in Gang. Die Ruhrbesetzung endete zwar im Sommer 1925mit dem Abzug der Besatzungstruppen, sollte sich aber als schwere Hypothek für die junge Republik erweisen.
Während der Laufzeit der Ausstellung fand ein umfangreich angelegtes kulturelles Rahmenprogramm statt. Es umfasste neben Führungen unter anderem eine Vortragsreihe, eine Podiumsdiskussion, eine Diskussion mit Konzert in Kooperation mit dem Klavierfestival Ruhr, Filmabende sowie einen interaktiven Workshop zum Thema Rassismus in Vergangenheit und Gegenwart.
Jede Führung aus dem Programm konnte von Ihnen auch als individuelle Gruppenführung gebucht werden. Sprache, Zeit, Gruppengröße und Thema konnten Sie mit unseren Kolleg:innen im Besucherdienst abstimmen.
Einen Überblick aller vergangenen Termine finden Sie auch in unserem
Führungen für Lehrer:innen und Schulklassen stellten nicht nur die Krisenjahre von 1923 bis 1925 anhand ausdrucksstarker Objekte in den Mittelpunkt, sondern untersuchten Plakate, Postkarten und weitere Exponate als historische Quellen.
Das Begleitmaterial zum Ausstellungsbesuch für Pädagog:innen finden Sie hier:
Unterrichtsmaterialien zur Vorbereitung
Der Katalog zur Ausstellung „Hände weg vom Ruhrgebiet! Die Ruhrbesetzung 1923–1925“ präsentiert auf 212 Seiten in elf reichhaltig illustrierten Beiträgen die wichtigsten Phänomene der Ruhrbesetzung aus verschiedenen Perspektiven. Der Katalog erscheint im Klartext Verlag, kostet 24,95 € und ist auch in unserem Shop auf der 24-Meter-Ebene erhältlich. Die Öffnungszeiten finden Sie hier.
ISBN 978-3-8375-2555-7
Der Regionalverband Ruhr (RVR) förderte die Ausstellung und das Begleitprogramm.
Drei Jahre nach der Gründung des Siedlungsverbands Ruhrkohlenbezirk im Mai 1920, dem Vorläufer des RVR, bedeutete die Ruhrbesetzung auch einen Schub für die Einigung des Ruhrgebiets. Denn sie brachte die Region zum ersten Mal parteiübergreifend nach innen, aber auch in der nationalen und internationalen Wahrnehmung in das öffentliche Bewusstsein. Als Kommunalverband Ruhrgebiet und heutiger Regionalverband Ruhr ist der Verband über ein Jahrhundert lang die Klammer der Region. Im Zentrum des gesetzlichen Auftrags des RVR steht seither das Wohl der Metropole Ruhr – als Netzwerker, Koordinator, Impulsgeber, Dienstleister oder Projektträger. Das im Jubiläumsjahr 2020 erstmals direkt gewählte Ruhrparlament ist die politische Vertretung für das Ruhrgebiet.
Der Verband im Netz: www.rvr.ruhr
Informationen zur Ausstellung und das umfangreichen Begleitprogramm finden Sie hier als PDFs zum Download:
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