Das Ruhrgebiet gilt als deutsches Mekka des Brieftaubensports. Um die Jahrhundertwende lag die Zahl der Vereine bei über 70. Die Organisation der Wettflüge stellte ein wesentliches Element der Vereinstätigkeit dar. Mit dem Aufbau fester Strukturen wurde ein Schritt hin zu einem regelmäßigen Wettkampfbetrieb mit verbindlichen Regeln gemacht. Die Tauben galten als die "Rennpferde des kleinen Mannes", auf sie liefen Wetten mit teils beträchtlichen Einsätzen. In den Industrieregionen verfugte der Brieftaubensport über ein hohes sozialintegratives Potenzial. Angesichts einer durch starke Arbeitsmigration sowie durch tiefgreifende ethnische, religiöse, sprachliche, ständische und politische Unterschiede geprägten Lebenswelt trug er zur Entstehung neuer kultureller Zugehörigkeiten bei. Er repräsentierte einen Raum „organisierter Geselligkeit“ jenseits von Arbeit und Politik, der mit den jahreszeitlichen Rhythmen der Zucht und des Wettfluggeschehens das Alltagseben der Züchterfamilien bestimmte. Vor allem Bergleute schufen hierdurch in ihrer Freizeit und an den Wochenenden Formen der Gemeinschaft, die der politischen Organisation in Parteien und Gewerkschaften oftmals vorausgingen.