Zwischen Gold und Glas: Die Sonderausstellung „Eine Klasse für sich“ zeigt zum ersten Mal einen Überblick über die gesamte Geschichte des Adels an Rhein und Ruhr vom frühen Mittelalter bis in die Gegenwart. Bis zum 31. Juli 2022 präsentiert das Ruhr Museum prächtige und teils noch nie ausgestellte Kulturschätze in einem spektakulären „Glaspalast“ vor den rauhen Bunkerwänden seiner 12-Meter-Ebene auf dem UNESCO-Welterbe Zollverein.
Film: Zeitlupe GmbH
Gezeigt werden über 800 Objekte aus rund 160 Museen, Archiven, Bibliotheken und Privatsammlungen. Zusammen haben sie einen Versicherungswert von knapp 30 Millionen Euro. Viele adelige Familien stellen dabei noch nie ausgestellte Exponate zur Verfügung: Bildnisse ihrer Vorfahren und andere Gemälde, kostbares Silber- und Porzellangeschirr sowie Glaspokale und Sammlerstücke, die bis heute im Familienbesitz geblieben sind. Urkunden, Stammbäume und illustrierte Bücher aus den zum Teil bis ins 16. Jahrhundert zurückgehenden Adelsbibliotheken, geben Einblicke in ihre ehemalige Lebenswelt.
Im Hauptraum erzählt die Ausstellung die tausendjährige Geschichte des Adels von den Anfängen im Frühmittelalter bis heute. In den Seitenräumen zeigt sie die Welt des Adels und deren Phänomene, die Menschen bis heute faszinieren.
Höhepunkte der Ausstellung sind der Prunkharnisch Herzog Wilhelms V. von Jülich-Kleve-Berg aus dem Kunsthistorischen Museum Wien, bedeutende Kulturschätze adeliger Frauen aus der Essener Domschatzkammer, das Porträt der Essener Fürstäbtissin Franziska Christine, wertvolle Tapisserien, aber auch ein Löwenfell aus dem ehemaligen Löwenpark des Grafen von Westerholt in Gelsenkirchen. Die Bandbreite an Exponaten reicht vom Mittelalter bis in die heutige Zeit und umfasst das ganze Spektrum der Kunst- und Kulturgeschichte.
Aus der industriegeschichtlich geprägten Perspektive scheinen Adel und die Rhein-Ruhr-Region unvereinbar. Aber das Ruhrgebiet hat auch eine reiche vorindustrielle Vergangenheit, die es einst zu einer der burgenreichsten Regionen Europas werden ließ. Aus vielen Wehrbauten entwickelten sich später prächtige Wasserschlösser und Herrenhäuser. Heute kommt man auf eine Gesamtzahl von über 400 Adelssitze. Etwa 200 von ihnen sind erhalten, wenn auch teilweise nur als Ruinen.
Die Ausstellung „Eine Klasse für sich“ nimmt aber nicht nur die Bauten der Adelskultur in den Blick, sondern widmet sich auch den Adeligen selbst und ihrer Rolle in der Geschichte dieser Region von den Anfängen im Frühmittelalter bis in die Gegenwart. Welche Familien lebten hier, welche Netzwerke bildeten sie, wie sahen ihr Alltag und ihre Feste aus, auf welchen Säulen basierte ihre Macht, welche Rituale und Symbole gab es? Die Ausstellung geht auch der Frage nach, wie die sich als Elite verstehende Gruppe trotz Aufhebung ihrer Privilegien und des damit verbundenen politischen Bedeutungsverlusts weiter bestehen konnte. Und wie leben die Adeligen heute, welche Veränderungen ergaben sich aus diesem Wandlungsprozess?
Die Rhein-Ruhr-Region war nie das zusammenhängende Herrschaftsgebiet eines mächtigen Fürsten. Sie zeichnete sich stets durch eine Vielzahl kleinteiliger Herrschaften aus, zu denen neben Herzogtümern und Grafschaften auch geistliche Territorien und Städte gehörten.
Die Ausstellung erzählt im Innenraum die tausendjährige Geschichte des Adels. Im Frühmittelalter befördern Adelige als Gründer von Klöstern und Stiften die Ausbildung des mittelalterlichen Feudalsystems. Burgen und Kriege geben Zeugnis von Machtstrukturen, Rivalitäten und Bündnissen. In der Frühen Neuzeit dominieren die repräsentativen Ansprüche des Adels: Die Wohnsitze namhafter Familien werden zu Schlössern mit luxuriöser Hofkultur und prachtvollen Gärten. Mit der Französischen Revolution schwinden viele Vorrechte des Adels. Der preußische Staat reglementiert ihn stark, eröffnet aber auch neue Betätigungsfelder, vor allem in Verwaltung und Militär. Adelige betätigen sich zunehmend als Unternehmer, gleichzeitig steigen Bürgerliche zu „Schlotbaronen“ auf. Nach den Weltkriegen führt eine Neuorientierung zu einer Rückbesinnung auf adelige Traditionen und zu einem stärkeren Verantwortungsbewusstsein für die Erhaltung des kulturellen Erbes.
In den Seitenräumen der Ausstellung wird die Welt des Adels in zeitübergreifenden Themen vertieft. Die Tradition und Selbstdarstellung der Adelsfamilien verdeutlichen Wappen und Ahnentafeln. Grafiken und Fotos zeigen die imposanten Adelssitze dieser Region, während der Wandel der Gartengestaltung in Plänen und Gemälden sichtbar wird. Möbelstücke und Gobelins geben Einblicke in die adelige Wohnkultur, und die adeligen Sammlungen werden mit Büchern, Gemälden und Preziosen gezeigt. Uniformen stehen für die männlichen und weiblichen Bediensteten, die jahrhundertelang für den Adel tätig waren. Die Objekte im Raum Kindheit und Erziehung dokumentieren die Vorsorge für eine standesgemäße Ausbildung, die mit einer gezielten Heiratspolitik und der Vernetzung in den höchsten Kreisen einherging. Höfische Feste als gesellschaftliche Höhepunkte werden mit Gemälden und Musikinstrumenten, die hohe Jagd als Adelsprivileg anhand von Waffen und Geweihtrophäen vorgestellt. Im Raum Tod und Begräbnis finden sich neben Totentafeln imposante Grabmonumente, und der letzte Bereich Faszination Adel thematisiert das immer noch vorhandene Interesse unserer bürgerlichen Gesellschaft an der Welt des Adels.
Mit einem „Glaspalast“ ist Bernhard Denkinger eine ganz besondere Gestaltung gelungen. Sie setzt die prächtigen Exponate in reinen Glasvitrinen vor den rauen Wänden der fensterlosen Bunkerebene in Szene. Diese transparente Architektur mit ihrer geometrischen Anordnung erlaubt unzählige Durchblicke in die Ausstellung, die immer wieder zurück zum Zentrum der Ausstellung führen: dem Mittelgang. Über die gesamte Raumlänge entsteht hier für Besucher*innen eine bisher unbekannte Weite und Sicht auf die kostbaren Exponate.
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