Umbrüche und Veränderungen kennzeichneten die sogenannten „dunklen Jahrhunderte“ an der Ruhr zwischen der Zeit der Römer und Germanen und der Zeit Karls des Großen. In dieser fast schriftlosen Periode, deren Erforschung vor allem über archäologische Funde erfolgt, erscheint Vieles bis heute unbekannt und rätselhaft.
Und dennoch wurden bereits damals und in der darauf folgenden Zeit der Christianisierung die Grundlagen für die Blüte des mittelalterlichen Ruhrgebiets gelegt – wenn auch dieser industriell geprägte Begriff erst Jahrhunderte später entstand.
Das Ruhr Museum knüpfte mit dem Thema und dem Titel seiner Ausstellung an die erste große Ausstellung im Ruhrgebiet nach dem Krieg an, die 1956 auf der Villa Hügel in Essen unter dem Namen „Werdendes Abendland an Rhein und Ruhr“ gezeigt wurde. Kam damals das Ruhrgebiet allerdings nur am Rande vor, so liegt heute – möglich geworden durch die Forschungsergebnisse der letzten 50 Jahre – der Fokus auf den historischen Entwicklungen vom 3. bis zum 11. Jahrhundert an Rhein, Lippe und Ruhr.
Die Integration dieser Region ins Frankenreich während der Sachsenkriege Karls des Großen schuf am Ende des 8. Jahrhunderts die Voraussetzung für die Gründung des Klosters Werden durch den friesischen Missionar Liudger. Die Benediktinerabtei wurde schnell zu einem geistigen, kulturellen und weltlichen Knotenpunkt, von dem wesentliche Impulse für die weitere Entwicklung der Region ausgingen. Gemeinsam mit dem in der Mitte des 9. Jahrhunderts gegründeten Frauenstift Essen wirkte es in seiner Bedeutung aber weit darüber hinaus. Damit formierte sich an Rhein, Lippe und Ruhr erstmals ein kulturell wie politisch zunehmend homogener Raum, der sich während der Industrialisierung zum heutigen Ruhrgebiet wandelte. In den Jahrhunderten zuvor war die Region stets Grenzbereich und Kontaktzone gewesen: zunächst zwischen Römern und Germanen und später zwischen Franken und Sachsen.
Die vom Wiener Architekten Bernhard Denkinger gestaltete Ausstellung besteht aus fünf großen Kapiteln. Im Bereich LEBEN vermitteln zahlreiche Fundstücke aus den verschiedenen Epochen einen Eindruck vom Alltag der Menschen im Grenzgebiet, ihrer Umwelt und ihren Lebensgrundlagen und auch von den wechselseitigen Beziehungen. STREITEN richtet den Blick auf die vielen Plünderungszüge und Kriege, die für das Leben der Menschen über Jahrhunderte eine stetige Gefahr darstellten. Das Kapitel GLAUBEN behandelt die Dimension des Kultischen und Religiösen, die mit der Durchsetzung des Christentums sowohl durch friedliche Mission als auch durch gewaltsame Unterwerfung einen grundlegenden Wandel erfuhr. In räumlicher Hinsicht wie auch inhaltlich stehen im Abschnitt WERDEN das Kloster Werden und das Stift Essen im Zentrum der Ausstellung. Die ausgestellten Handschriften veranschaulichen dabei deutlich die neue Bedeutung der Schriftkultur. Das abschließende Kapitel DEUTEN beschäftigt sich mit den unterschiedlichen Annäherungsformen der Nachwelt an die Frühzeit der Region, angefangen von der ersten humanistischen Rezeption bis zur ideologischen Indienstnahme durch die Nationalsozialisten.
Gezeigt wurden über 800, zum Teil noch nie ausgestellte kulturhistorische Objekte, archäologische Funde und kostbare Handschriften von über 70 Leihgebern. Höhepunkte waren die ältesten und wertvollsten Kleinodien aus den Kirchenschätzen und Bibliotheken von Werden und Essen. Neben diesen stets sorgsam gehüteten Kostbarkeiten illustrierten archäologische Exponate das Leben der Menschen im „werdenden Ruhrgebiet“: Kleidungsbestandteile, Schmuck, Gefäße aus Glas und Keramik, dazu aber auch Werkzeuge und Waffen gaben Einblicke in die Zeit vor über tausend Jahren.
Einige Hauptwerke der ottonischen Kunst wie die Goldene Madonna, der Siebenarmige Leuchter und der Werdener Bronzekruzifixus befinden sich noch heute an ihren ursprünglichen Bestimmungsorten. „Werdendes Ruhrgebiet“ bezieht daher die Essener Dominsel sowie die Werdener Schatzkammer als Ausstellungsorte mit ein. Der Ausstellungsteil „Antikenrezeption auf der Essener Dominsel“ betrachtete die Schatzstücke des Essener Stifts auf ihre antiken Wurzeln hin. Die Ausstellung in Werden „Werdener Stein- und Bronzeplastik des 11. Jahrhunderts“ stellte die Bildhauerkunst um 1050 in den Mittelpunkt.
Alle Informationen zur Ausstellung auf einen Blick gibt es auch hier im Flyer zum Download
Den Katalog zur Ausstellung finden Sie in unseren Publikationen: