Die Galerieausstellung des Ruhr Museums in Kooperation mit der Stadtarchäologie Essen.
Die Ausstellung zeigte spannende archäologische Bodenfunde des Industriezeitalters aus Essen, dem Ruhrgebiet und dem Rheinland. Die Objekte warfen neue Schlaglichter auf die Kultur- und Ereignisgeschichte des späten 18. bis 21. Jahrhunderts an Rhein und Ruhr.
Das Ruhrgebiet als ehemals größte Industrieregion erlebt seit über 200 Jahren einen extremen Wandel. Nicht nur das Bewusstsein der Region und ihrer Menschen, sondern auch die materiellen Hinterlassenschaften in den Archiven und Museen sowie in den Böden sind durch diese Entwicklung geprägt. Die Industrialisierung überlagerte die dörflichen und feudalen Strukturen, ihre Gebäude wurden immer wieder erweitert und durch ständige Modernisierungen verändert. Die Region, vor allem ihre Industrie, aber auch ihre Wohnbebauung und ihre Infrastruktur, wurde im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört. Nach dem Wiederaufbau veränderte der Strukturwandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts noch einmal ihre Gestalt.
»Die Böden des Ruhrgebiets und des Rheinlands sind so etwas wie ein großes Sacharchiv des Industriezeitalters, das mit der industriellen Revolution vor etwa 250 Jahren begann und als die Epoche der Moderne bezeichnet wird«, hält der Direktor des Ruhr Museums Prof. Heinrich Theodor Grütter fest. »In diesem archäologischen Erbe der Moderne stecken Geschichten, die in keiner Bibliothek und in keinem Archiv verzeichnet sind.«
Für das Ruhrgebiet, das durch die wirtschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Transformationsprozesse dieser Moderne geformt ist, erscheint eine Ausstellung zur Archäologie dieser Epoche deshalb besonders angebracht. Und das Ruhr Museum mit seinem Standort auf dem Industriedenkmal und UNESCO-Welterbe Zollverein als natur- und kulturhistorisches Museum des Ruhrgebiets ist für eine solche Ausstellung sicherlich der richtige Ort gewesen.
Darüber hinaus spielten archäologische Exponate in der Geschichte des Ruhr Museums eine wichtige Rolle, wie vergangene Ausstellungen zeigen: »Vergessene Zeiten. Mittelalter im Ruhrgebiet« (1990/91), »Werdendes Ruhrgebiet. Spätantike und Frühmittelalter an Rhein und Ruhr« (2015) sowie »Eine Klasse für sich. Adel an Rhein und Ruhr« (2021/22). Die neue Ausstellung »Jüngste Zeiten« wechselte die Perspektive und zeigte die wachsende Rolle der Archäologie für die jüngsten Zeiten an Rhein und Ruhr. »Das entspricht der Ausrichtung des Ruhr Museums«, fährt Prof. Heinrich Theodor Grütter fort, »das als Regionalmuseum des Ruhrgebiets in seinen Sammlungen und Ausstellungen interdisziplinär die gesamte Geschichte der Region von den erdgeschichtlichen Voraussetzungen und historischen Anfängen bis in die Gegenwart beschreibt.«
Die Galerieausstellung befasste sich mit der noch jungen Disziplin der Archäologie der Moderne. Sie zeigte ausgewählte archäologische Funde aus der Stadt Essen, dem Ruhrgebiet sowie dem Rheinland. Zusammen warfen die oft erstmals gezeigten Objekte Schlaglichterauf die Kultur- und Ereignisgeschichte des späten 18. bis frühen 21. Jahrhunderts.
Konzeptionell hatte die Ausstellung einen regionalen Charakter. Es wurden Fundeaus Essen um Leihgaben aus dem Ruhrgebiet und dem Rheinland ergänzt.
Acht Kapitel, die sich an den wichtigsten Forschungsfelder der Archäologie der Moderne anlehnen, gliederten die Ausstellung: Industrie, Infrastruktur, Müll, Umwelt, Geschichte, Mensch, Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg. Sie bildeten die Erzählung der Ausstellung, beginnend mit der die Region seit dem Beginn der Moderne formenden Industrialisierung bis hin zum Zweiten Weltkrieg, der großen Katastrophe in der Mitte des 20. Jahrhunderts.
Die Exponate wurden überwiegend von der Bodendenkmalpflege geborgen. Ein Schwerpunkt lag auf den Funden der Essener Stadtarchäologie, die durch Objekte verschiedener Leihgeberinnen und Leihgeber bereichert wurden. Die Bandbreite der Fundstücke erstreckte sich von mit bloßem Auge nicht sichtbaren Mikrospuren im Erdreich bis hin zu dem Propeller eines alliierten Bombers. Zeugnisse der Krupp’schen Gussstahlfabrik waren ebenso zu sehen wie Funde aus den Zwangsarbeiterlagern der NS-Zeit. Zu den ältesten Exponaten gehörten ein Münzschatz aus Westfalen und der Grenzstein eines Essener Bergwerks. Überraschend waren Objekte aus dem rheinischen Braunkohletagebau und vor allem die jüngsten gezeigten Fundstücke, wie etwa ein Schlüsselbrett aus einem Bunker des Kalten Kriegs am Essener Hauptbahnhof.
Die Sonderausstellung unterstreichte erstmals für die gesamte Region an Rhein und Ruhr nachdrücklich, dass die Archäologie einen relevanten Beitrag für die Erforschung der modernen und gegenwärtigen Kultur erbringt. Der Leiter der Archäologischen Sammlung des Ruhr Museums und Kurator der Ausstellung Dr. Patrick Jung: »Unsere Ausstellung bietet überraschende Erkenntnisse über die Reichhaltigkeit des kulturellen Erbes, das sich im Bodenarchiv an Rhein und Ruhr verbirgt. Sie leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Schaffung eines Bewusstseins für die Relevanz der noch im Erdreich bewahrten Zeugnisse auch der jüngsten und allerjüngsten Vergangenheit.«
Das Interesse der Archäologischen Wissenschaften an der Moderne ist ein noch junges Phänomen, das im deutschsprachigen Raum vor rund 30 Jahren seinen Anfang nahm. Archäologinnen und Archäologen bergen und erforschen unter Einsatz modernster Technik Bodenfunde, die dem Zeitraum der politischen und ökonomischen Moderne entsprechen und somit nicht älter als rund 250 Jahre sind. Trotz ihres geringen Alters können die Funde aus den jüngsten Zeiten bedeutende Mehrwerte bieten. So kann etwa die Beschäftigung mit solchen archäologischen Hinterlassenschaften neue Erkenntnisse zu Tage bringen, welche in keinem Archiv zuvor zu finden waren. Vielfach ergänzen sie historische Quellen und somit auch das Bild von der Vergangenheit. Sie gewähren Einblicke in den Alltag der letzten zwei Jahrhunderte, werfen Schlaglichter auf historische Prozesse oder Ereignisse. Archäologische Funde leisten dadurch auch einen Beitrag zur Erinnerungskultur. Mehr noch: Bodenfunde der Moderne können sogar die Identifikation mit einem Ort oder einer Region befördern, wie dies in Essen etwa für die Relikte der Krupp’schen Gussstahlfabrik der Fall ist. Oder sie können dabei helfen ein Bewusstsein für einen Teil der Vergangenheit in der Bevölkerung zu schaffen, wie beispielsweise für die während der Zeit des Nationalsozialismus begangenen Verbrechen, die in den Jahren 1933 bis 1945 ihre Spuren im Bodenarchiv der Rhein-Ruhr-Region hinterlassen haben.
Die Ausstellung wurde großzügig gefördert durch die Sparkasse Essen, welche regelmäßig Projekte, Initiativen und Vereine aus den Bereichen Kultur, Soziales und Sport unterstützt.
Kooperationspartner der Ausstellung, an deren Vorbereitung der ehemalige Stadtarchäologe Dr. Detlef Hopp beteiligt war, war die Essener Stadtarchäologie bzw. die Untere Denkmalbehörde der Stadt. Seit Ende 2021 wird sie durch Dr. Johannes Müller-Kissing vertreten. Daneben unterstützte insbesondere das LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland das Vorhaben durch bedeutende Leihgaben.
Die Laufzeit der Ausstellung, das Begleitprogramm und die sonstige Planung wurden mit dem LWL-Museum für Archäologie und Kultur in Herne abgestimmt. Mit »Modern Times – Archäologische Funde der Moderne und ihre Geschichten« (8.9.2023-18.8.2024) präsentiert das Herner Museum zeitgleich eine ähnliche Thematik, allerdings mit internationaler Ausrichtung und anderen inhaltlichen Schwerpunkten.
Während der Laufzeit der Ausstellung fand ein vielseitiges Begleitprogramm statt. Neben Führungen umfasste es informative Exkursionen. Besucht wurden unter anderem ein Bunker der Deutschen Bahn aus der Zeit des Kalten Krieges unter dem Premier Inn Hotel Essen City Centre am Hauptbahnhof oder archäologische Kriegsrelikte im Rheinland. Daneben beleuchtete eine spannende Vortragsreihe die Archäologie der Moderne aus verschiedenen Perspektiven. Workshops für Kinder und eine Ausstellungsrallye für Familien rundeten das Angebot ab.
Bei einem Ausstellungsrundgang für Lehrende durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowohl des Ausstellungsteams als auch der Bildung und Vermittlung wurden Konzeption, Themen sowie Führungsangebote für Schulklassen der Sekundarstufen I und II erläutert. Die Führungen für Schulklassen der Sekundarstufe I boten speziell einen Überblick über die wichtigsten archäologischen Methoden. Anhand ausgewählter Exponate wurden die Begehung des Geländes, Ausgrabung und Fundbearbeitung vorgestellt.
In Zusammenarbeit mit der Essener Stadtarchäologie entstand auch der Begleitband zur Ausstellung »Jüngste Zeiten. Archäologie der Moderne an Rhein und Ruhr« . Auf 304 Seiten widmet sich dieser der noch jungen Disziplin. Die acht reichhaltig illustrierten Kapitel beziehen sich auf die wichtigsten Forschungsfelder der Archäologie der Moderne. Zu sehen sind spannende archäologische Funde, die in den letzten zwei Jahrzehnten in der Rhein-Ruhr-Region geborgen wurden.
Der Katalog hat einen interdisziplinären Ansatz und entstand unter Mitarbeit von 26 Autorinnen und Autoren aus den Fachgebieten Archäologie, Geschichtswissenschaften, Anthropologie, Archäozoologie, Numismatik, Geowissenschaften, Musik- und Fotowissenschaften. Durch diese Bandbreite wurde der archäologische Blick interdisziplinär erweitert, in größere Zusammenhänge eingebunden und die Ergebnisse auf eine möglichst breite Grundlage gestellt.
Der Katalog erscheint im Nünnerich-Asmus Verlag und kostet 29 €. Er ist auch in unserem Shop auf der 24-Meter-Ebene erhältlich. Die Öffnungszeiten finden Sie hier.
ISBN 978-3-96176-229-3
Bei Vorlage eines Tickets der »Modern Times«-Ausstellung im LWL-MAK Herne gab es einen ermäßigten Eintritt. Umgekehrt bekamen Sie einen Rabatt in Höhe von 20% auf das Erwachsenen-Ticket und das ermäßigte Ticket der Sonderausstellung »Modern Times« im Zeitraum vom 25.9.2023 bis 7.4.2024.
Weitere Informationen zur Ausstellung und dem umfangreichen Begleitprogramm finden Sie hier als PDFs zum Download:
Die Ausstellung wird von einem umfangreichen Veranstaltungsprogramm begleitet. Führungen und weitere Angebote finden Sie in unserem Kalender:
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